Gott allein hat alles ausgedacht, alles gelenkt und geführt. Ich war (…) nur wie eine Figur auf dem Schachbrett, die von einer Hand „von oben“ geführt, beherrscht wird und von Ort zu Ort verlegt wird, von einem Land ins andere, bis sich nicht meine Pläne erfüllten – ich habe nie daran gedacht, sondern Gottes Pläne. (Mutter Ursula)
Die Gemeinschaft der Ursulinen vom Herzen Jesu im Todeskampf, gegründet 1920 von der hl. Ursula Ledóchowska, ist eine der zahlreichen Zweige der ursulinischen Ordensfamilie, die im 16. Jahrhundert von der hl. Angela Merici ins Leben gerufen wurde.
Die Gemeinschaft der Ursulinen in St. Petersburg (Russland), deren Oberin Mutter Ursula war, verbrachte die Zeit des Ersten Weltkrieges, nach der Verbannung aus Russland, zuerst in Schweden, dann in Dänemark. Als Polen seine Unabhängigkeit wiedererlangte, kehrte Mutter Ursula mit der Gemeinschaft nach Polen zurück und siedelte sich in Pniewy in der Nähe von Posen an. Die Schwestern brachten Kinder mit, Waisen polnischer Arbeiter, Kinder, die sie in Dänemark betreut hatten. Der Apostolische Stuhl übertrug den Rechtsstatus des autonomen Ordenshauses der Ursulinen in Petersburg auf die Gemeinschaft in Pniewy und wandelte sie in die Gemeinschaft der Ursulinen vom Herzen Jesu im Todeskampf um, einen neuen Zweig der ursulinischen Ordensfamilie. Die Konstitutionen der Gemeinschaft erhielten die erste Bestätigung des Apostolischen Stuhls am 4. Juni 1923, die entgültige – am 21. November 1930.
Die Gemeinschaft entwickelte sich schnell. Mutter Ursula und die Schwestern engagierten sich – so wie es ihnen möglich war – beim Wiederaufbau des zerstörten Landes. Die Zahl der Schwestern, neuer Filialen und Werke wuchs stetig.
Die Schwestern organisierten Kindergärten, Schulen, Kinderheime, Wohnheime für Schüler von Mittelschulen, Studentenwohnheime; sie leiteten berufsbildende Kurse für Mädchen, Horte sowie Bibliotheken für Kinder und Jugendliche; leiteten die Katechese in staatlichen Schulen und die Ausbildung von zukünftigen Katechetinnen und Lehrerinnen.
Im Jahr 1921 übernahmen sie das alte und zerstörte ehemalige Dominikanerkloster in Sieradz. Dieses Kloster, das von den Schwestern wiederaufgebaut wurde, entwickelte sich zu einem religiösen und kulturellen Zentrum in der Region. Im Jahr 1922 nahmen die Ursulinen in der neu entstandenen Diözese Lodz katechetische Tätigkeit auf und bildeten dort ein Zentrum starker katechetischer Arbeit und der Ausbildung weltlicher Katechetinnen. Wenige Zeit später entstand ein Internat für Berufsschülerinnen in Vilnius sowie ein großes Kinderheim im nahegelegenen Czarny Bor. In den folgenden Jahren wurden zahlreiche Niederlassungen im damaligen Ostpolen – in Wolhynien und Polesien gegründet. Mutter Ursula bemühte sich, einen ihrer Wünsche zu verwirklichen, den sie einmal ihrem Bruder Wlodzimierz geäußert hatte: „Ich möchte mich der Dörfer auf dem Lande annehmen und je drei – eine Volkslehrerin, eine Krankenschwester und eine Hausschwester hinschicken, damit sie zu dritt das Land verändern.“
Im Jahr 1928 enstand die erste Gemeinschaft der grauen Ursulinen in Rom und bei ihr ein Wohnheim für polnische und italienische Jugendliche. In Kürze wurde dort auch das Generalhaus der Gemeinschaft etabliert. Mutter Ursulas Wunsch war es, im Schatten von St. Peter und in der Nähe des Heiligen Vaters ein Haus zu haben. 1932 begannen die Schwestern, in den armen Vororten Roms zu arbeiten. 1930 fuhren sie nach Frankreich, um dort junge Polinnen zu betreuen, die in einer Kunstseide-Fabrik ihre erste Arbeit aufnahmen. Mutter Ursula unternahm auch einen Versuch, Schwestern nach Peru zu schicken. Aufgrund fehlender finanzieller Mittel kam das Unternehmen jedoch nicht zustande.
Mutter Ursula holte die Kinderorganisation Eucharistischer Kreuzzug aus Frankreich nach Polen, wo sie in den Dreißigerjahren schon über 200 Tausend Kinder vereinte.
Zwei Drukereien der Gemeinschaft unterstützten die erzieherische Arbeit – vor allem für Kinder und Jugendliche – durch gute Büche (Mutter Ursula schrieb selbst einige Erzählungen für Kinder) und Publikationen mit pädagogischem Charakter („Dzwonek Św. Olafa“ – Zeitschrift für Absolventinnen der Schule in Pniewy, „Hostia“ und „Orędowniczek Eucharystyczny“ – Zeitschriften der o.g. Eucharistischen Kinderbewegung.
Zum Zeitpunkt des Todes der Gründerin im Jahr 1939 zählte die Gemeinschaft ca. 800 Schwestern in 44 Gemeinschaften in Polen, Italien und Frankreich.
Die zweite Etappe der Geschichte unserer Gemeinschaft begann. Sie sollte eine nicht einfache Probe der spirituellen und apostolischen Dynamik werden. Die Kriegshandlungen und die Politik der Okkupanten zwangen die Schwestern dazu, Häuser zu verlassen, vor allem in den ins Reich eingegliederten oder von den Sowjets besetzten Gebieten. Die Schwestern zeigten eine große Elastizität in der Anpassung an die veränderten Lebens- und Arbeitsbedingungen. Obwohl sie oft selbst von den Repressalien betroffen waren (ca. 200 wurden evakuiert, 107 wurden in deutschen oder russischen Lagern und Gefängnissen inhaftiert, 5 wurden nach Sibirien, 66 zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt), kümmerten sich die Schwestern um Kranke und Kriegsgefangene (in Polen, besonders in Sieradz, auch in Italien und Frankreich), leiteten Volks- und Mittelschulen im Untergrund, Kinderheime und kostenlose Speisung für Bedürftige. Sie beteiligten sich an konspirativer Tätigkeit, leisteten Hilfe für Ausgesiedelte, Gefangene, Geflüchtete, Verfolgte, auch Juden. Sie retteten jüdische Kinder und versteckten sie in ihren Häusern. Vier Schwestern kamen während des Warschauer Aufstandes ums Leben, als sie Verwundeten zu Hilfe eilten. Zwei gelangten im Jahr 1944 nach mehrjähriger Wanderschaft und Irrfahrt zusammen mit 736 polnischen Kindern aus Ostpolen über die UdSSR, Persien und den Indischen Ozean nach Neuseeland.
Die Nachkriegsjahre waren eine Zeit des mühsamen Wiedererstehens – zusammen mit ganz Polen – aus dem Ruin, der Rückkehr an die verlassenen Orte, des Suchens neuer Tätigkeitsfelder, besonders in der Erziehung, des Unterrichtens und der karitativen Arbeit. Die Politik der kommunistischen Machthaber zwang zu ständiger Wachsamkeit und Elastizität. Die mit Mühe aufgebauten Erziehungswerke wurden verstaatlicht, die Schwestern aus den Schulen verwiesen. Die Hauswirtschaftsschule in Pniewy und das Wohnheim für 140 Studentinnen in Warschau wurde der Gemeinschaft weggenommen, Kindergärten und Internate aufgelöst oder verstaatlicht, Horte und Bibliotheken geschlossen. Die Kinderheime gingen zum staatlichen „Caritas“ über. Diese Situation zwang zur Aufnahme neuer Tätigkeiten: Katechese und andere Formen der Arbeit in Pfarreien, verschiedene Arten von Hilfe in der Umgebung, Arbeit in Kircheninstitutionen und in katholischen Hochschulen (wie KUL in Lublin oder ATK in Warschau), geistliche Bildungsarbeit mit Jugendlichen.
Im Jahr 1965 verließ die Gemeinschaft in ihrer apostolischen Tätigkeit zum ersten Mal den europäischen Kontinent – elf Schwestern nahmen in Kanada, in der polnischen Pfarrei in Windsor (Ontario), ihre Arbeit auf: Lehrertätigkeit in kanadischen Schulen und in der polnischen Schule sowie im eigenen Kindergarten, der bald gegründet wurde. Im Jahe 1969 begab sich eine Gruppe grauer Ursulinen nach Argentinien, 1971 nach Brasilien. 1976 nahm die Gemeinschaft Arbeit in Finnland auf, 1980 in der BRD, in München – in Jugendwohnheimen der Organisation IN VIA.
In Osteuropa begann die ursulinische Arbeit 1988 in der Ukraine, 1995 dann in Weißrussland.
Auf dem afrikanischen Kontinent, in Tansania, ist die Gemeinschaft seit 1990 präsent, in Asien seit 2002 auf den Philippinen.
Im Jahr 2007, genau 100 Jahre nach Mutter Ursulas Ausreise nach Russland, nahmen die Ursulinen wieder Tätigkeit in St. Petersburg auf – in der Pfarrei der Hl. Katharina am Newsky Prospekt. In Südamerika kam zu den Ländern der „grauen“ Missionen im Jahr 2009 noch Bolivien hinzu.